Mehr über mich
Liebe Leser*innen,
wie schön, dass Sie hier sind!
In dem Land, in dem ich aufgewachsen bin, waren Bücher besondere Schätze. Sie wurden „unter der Hand“ gehandelt, „unterm Ladentisch“ verkauft und wie feinstes Porzellan nach Hause getragen. In Zeitungspapier eingeschlagen, um sie vor schwitzigen Händen und sonstigem Unbill zu schützen, mindestens einmal gelesen, ungern und nur unter Zusicherung zärtlichen, vorsichtigen Umgangs verborgt. Ihre Inhalte wurden wegen möglicher unerwünschter Zuhörer hinter vorgehaltener Hand, dafür aber heiß diskutiert. Die Richtstatt von Tschingis Aitmatow beispielsweise, ein gesellschaftskritischer Roman über Drogenanbau hinterm Eisernen Vorhang und eine Christusanalogie dazu- lieber Himmel!
In einem Ländchen wie dem unseren stießen Bücher mehr als anderswo Fenster in andere Welten auf, verschafften uns eine Ahnung von Vielfalt und der so sehr ersehnten Freiheit. Gelesen wurde viel und von Kindheit an, auch ich konnte meine ersten Kinderbücher auswendig. Und in meinem Fall war es tatsächlich Aitmatow, der in mir die tiefe Liebe zur Literatur und den Wunsch, meine Ergriffenheit auszudrücken, weckte. Ich war sechzehn Jahre alt, wir lasen in der Schule Dshamilja, danach war ich ein anderer Mensch. Noch immer gehört diese Liebesgeschichte, die zugleich von einer künstlerischen Initiation erzählt, meiner Meinung nach zum Schönsten, was je geschrieben wurde. Der Moment, indem Danijar in der rauen Landschaft Kirgisiens zu singen beginnt, hat meine Welt aus den Angeln gehoben und mich fühlen lassen, worin alle künstlerische Arbeit wurzelt: eine Erschütterung der Seele angesichts der Größe, der Schönheit und der Unbegreiflichkeit dieses Lebens.
Das genau ist es, was ich brauche, um mich als Schriftstellerin „in die Spur zu machen“, mit dem Schreiben zu beginnen: Eine Erschütterung, ein Ergriffensein von einer Geschichte, vom Schicksal meiner Figuren. Erst, wenn ich selbst zutiefst berührt bin, kann ich authentisch schreiben, echt, menschlich wahrhaftig und erst dann kann ich berühren. Und genau darum geht es für mich in der Literatur: Leser*innen dazu zu bringen, mitzufühlen…
Liv Marie Bahrow © 2024